Dr. Christoph Wessendorf: „Warum die Zeitarbeit von morgen anders aussieht“
Künstliche Intelligenz, automatisierte Matching-Prozesse und digitale Vertragsabwicklung – für Dr. Christoph Wessendorf, Geschäftsführer bei Franz & Wach Personalservice GmbH, ist das keine Zukunftsmusik, sondern ein zentraler Bestandteil der Unternehmensstrategie. Als er 2022 zum Unternehmen kam, war seine Aufgabe klar: die Digitalisierung im Unternehmen konsequent voranzutreiben. Im Gespräch erklärt er, welche Potenziale digitale Prozesse bieten, warum Unternehmen flexibler agieren müssen und welche Reformen die Politik dringend angehen sollte.
Sie sind 2022 zu Job & Talent gekommen, um die Digitalisierung des Unternehmens voranzutreiben. Wie weit sind Sie auf diesem Weg?
Die Branche war lange von manuellen Abläufen geprägt – Bewerbungen wurden gesichtet, passende Stellen gesucht, Termine händisch koordiniert, Verträge ausgedruckt und per Post verschickt. Das ist langsam und ineffizient.
Inzwischen sind wir deutlich weiter. Künstliche Intelligenz unterstützt uns dabei, Bewerbungen innerhalb von Sekunden zu analysieren und mit offenen Stellen abzugleichen. Die erste Kontaktaufnahme kann oft automatisiert erfolgen, sodass Bewerber viel schneller eine Rückmeldung erhalten. Auch die Terminvereinbarung für Interviews läuft digital, was uns als Unternehmen viel Zeit spart. Und wenn sich ein Bewerber für eine Stelle entscheidet, kann der Arbeitsvertrag inzwischen elektronisch unterzeichnet werden – das beschleunigt den gesamten Ablauf erheblich.
Bedeutet das, dass die Zeitarbeit in Zukunft komplett automatisiert abläuft?
Zeitarbeit lebt vom persönlichen Austausch. Digitale Prozesse sind eine Unterstützung, aber sie ersetzen nicht die menschliche Entscheidung. Technologie hilft uns, den administrativen Aufwand zu reduzieren, sodass sich unsere Recruiter auf das konzentrieren können, was wirklich zählt: die persönliche Beratung und die bestmögliche Besetzung offener Stellen.
Automatisierung macht uns effizienter, aber nicht unpersönlich. Ein Algorithmus kann zwar die fachlichen Qualifikationen eines Bewerbers erkennen, aber er kann bisher keine Soft Skills, persönliche Motivation oder zwischenmenschliche Fähigkeiten bewerten. Diese finale Entscheidung bleibt eine feste Aufgabe für erfahrene Personalberater.
Wie haben sich die Anforderungen Ihrer Kunden geändert?
Unsere Kunden erwarten heute nicht nur schnellere Lösungen, sondern auch mehr Flexibilität. Viele Unternehmen haben keine langfristigen Personalplanungen mehr, weil sich Marktbedingungen immer schneller ändern. Das bedeutet für uns als Personaldienstleister, dass wir noch agiler reagieren und skalieren müssen. Ohne digitale Prozesse wäre das in dieser Geschwindigkeit kaum machbar.
Viele Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften. Warum wird die Rekrutierung aus dem Ausland nicht stärker genutzt?
Angesichts des Fachkräftemangels wäre es naheliegend, stärker auf internationale Rekrutierung zu setzen. Doch in der Praxis gibt es erhebliche Hürden. Selbst innerhalb der EU wird es immer schwieriger, geeignete Kandidaten zu gewinnen, weil der Wohnraummangel in vielen Regionen ein echtes Problem ist – sowohl in Ballungsräumen als auch in industriellen Gebieten, wo Arbeitskräfte dringend gebraucht werden. Es bringt wenig, Fachkräfte aus dem Ausland zu holen, wenn es schlicht keine bezahlbaren Unterkünfte gibt.
Noch schwieriger ist die Situation bei Fachkräften aus Drittstaaten. Hier gibt es grundsätzlich Potenzial, doch Zeitarbeitsunternehmen dürfen bisher nicht in diesen Ländern rekrutieren. Selbst wenn Unternehmen aus anderen Branchen Fachkräfte aus Drittstaaten einstellen möchten, stehen sie vor enormen bürokratischen Hürden. Die Genehmigungsprozesse ziehen sich oft über Monate, was für viele Unternehmen nicht praktikabel ist.
Wie oft scheitert eine Vermittlung an Sprachbarrieren?
Immer mehr Kundenunternehmen sind bereit, auch Fachkräfte mit anderen sprachlichen Hintergründen zu akzeptieren. Natürlich gilt das nicht für alle Unternehmen, aber viele haben inzwischen erkannt, dass sie nicht erwarten können, dass Kandidaten perfekt oder gut Deutsch sprechen. Stattdessen konzentrieren sie sich zunehmend auf die Qualifikation und Leistungswilligkeit der Talente. Teilweise wird dies durch Fremdsprachenkurse unterstützt, die wir gemeinsam mit den Kundenunternehmen anbieten, oder durch Teams, die in einer gemeinsamen Sprache kommunizieren. Dieser Wandel ist wichtig, um den internationalen Talentpool effektiv nutzen zu können.
Wie sehen Sie die Zukunft der Zeitarbeit, insbesondere im Hinblick auf gering qualifizierte Tätigkeiten?
Die klassische Zeitarbeit für einfache Helfertätigkeiten wird sich verändern, aber nicht verschwinden. Zeitarbeit ist oft ein Sprungbrett für Menschen mit „bunten“ Lebensläufen oder für Fachkräfte aus dem Ausland, die in den deutschen Arbeitsmarkt einsteigen wollen. Gerade in diesen Bereichen spielen wir eine wichtige Rolle als Integrator und Brückenbauer.
Ich glaube zudem, dass die Zeitarbeit für Menschen, die arbeiten wollen, weiterhin attraktiv bleibt. Die Löhne in der Zeitarbeit sind häufig deutlich höher als der Mindestlohn. Ab dem 1. März 2025 liegen die Entgelte in der Zeitarbeit beispielsweise schon bei 14,53 Euro.
Kann Zeitarbeit dazu beitragen, Langzeitarbeitslose oder Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren?
Ja, das Potenzial ist da – aber es muss einfacher werden. Wir haben oft Bewerber, die grundsätzlich für eine Stelle geeignet wären, aber eine kurze Schulung oder Qualifikation benötigen. Hier scheitert es dann oft an der Bürokratie.
Ein klassisches Beispiel ist die Gabelstaplerfahrer-Ausbildung. Jemand ist motiviert und würde gerne arbeiten, aber ohne den erforderlichen Schein kann er nicht eingesetzt werden. Wenn der Schulungsprozess zu lange dauert oder die Förderung kompliziert beantragt werden muss, geht die Stelle oft an jemand anderen.
Wir brauchen hier mehr Flexibilität, um Menschen schnell fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Digitale Lernplattformen und schlankere Förderstrukturen könnten helfen, damit Zeitarbeit noch mehr Menschen eine echte Chance bietet.
Wie sieht die Zukunft der Zeitarbeit aus?
Zeitarbeit wird sich weiterentwickeln, aber sie bleibt unverzichtbar. Unternehmen brauchen flexible Arbeitsmodelle, um auf Marktveränderungen reagieren zu können. Gleichzeitig werden digitale Prozesse eine noch größere Rolle spielen.
Ich bin sicher, dass sich Vermittlungszeiten in den nächsten Jahren drastisch verkürzen. Während heute oft noch mehrere Tage zwischen Bewerbung und Arbeitsbeginn liegen, könnte dieser Zeitraum in Zukunft auf wenige Stunden schrumpfen.
Aber trotz aller Technologie bleibt der persönliche Faktor entscheidend. Algorithmen optimieren Prozesse, aber am Ende geht es um Menschen – und die lassen sich nicht vollständig digitalisieren.