Rentner in Arbeit: Warum ältere Menschen dringend gebraucht werden

Tobias Bell, Rainer Guntermann und Wilfried Giesche von Unique Seniors
Weshalb immer mehr Rentner arbeiten wollen – und warum Unternehmen diese Chance nutzen sollten.
Die Fräsmaschine surrt leise, der Werkstückspanner sitzt fest. Rainer Guntermann arbeitet konzentriert, routiniert, mit ruhiger Hand. Er ist 65 – und längst in Rente. Doch der Ruhestand fühlte sich für ihn nicht richtig an. Heute ist er wieder Vollzeit beschäftigt – als Rentner in Arbeit. „Ich brauche eine Aufgabe“, sagt er. „Etwas, das mir Struktur gibt – und das Gefühl, gebraucht zu werden.“
Rainer Guntermann ist kein Einzelfall. Immer mehr Rentnerinnen und Rentner wollen oder müssen arbeiten – sei es aus finanzieller Notwendigkeit oder aus dem Wunsch nach sozialer Teilhabe und Aktivität. Laut Statistischem Bundesamt waren 2022 rund 1,3 Millionen Menschen im Rentenalter (65 Jahre und älter) erwerbstätig – das entspricht etwa 13 % der Bevölkerung dieser Altersgruppe. Tendenz steigend.
Dabei zeigt sich: Die Generation 63+ ist motiviert, erfahren und leistungsbereit. Doch viele Bewerbungen bleiben unbeantwortet, persönliche Gespräche finden kaum statt, und Altersgrenzen wirken oft wie unsichtbare Barrieren. Dabei ist die rechtliche Lage eindeutig: Wer im Rentenalter arbeiten möchte, darf das tun. Rentenbeziehende können grundsätzlich unbegrenzt hinzuverdienen – sei es in Teilzeit oder sogar in Vollzeit. Seit der Reform zum 1. Januar 2023 entfällt bei der Altersrente für langjährig Versicherte (ab 63 Jahren) die Hinzuverdienstgrenze vollständig (§ 34 SGB VI). Die Rente wird also nicht mehr gekürzt.
Die Serie „Wir sind Chancengeber“ zeigt ganz persönliche Geschichten von Menschen in der modernen Arbeitswelt. Durch ihre berufliche Tätigkeit in der Zeitarbeit erleben sie soziale Teilhabe, Integration, Wertschätzung und berufliche Perspektive.
Die rechtliche Möglichkeit ist da – doch der Zugang zur Arbeitswelt bleibt für viele versperrt. Hier kommt es auf Strukturen an, die Chancen nicht nur theoretisch eröffnen, sondern praktisch ermöglichen. Genau hier setzt die Zeitarbeit an: Sie bietet flexible Einstiegsmöglichkeiten, persönliche Begleitung und eine Chance, auch im höheren Alter beruflich aktiv zu bleiben – dort, wo andere Wege oft verschlossen sind.
Unternehmen mit Berührungsängsten
Doch genau an diesem Punkt zeigt sich auch ein häufig unterschätztes Missverständnis: Viele Personalverantwortlichen fehlt es an Erfahrung im Umgang, es braucht es Sensibilität, Aufklärung – und manchmal einen Perspektivwechsel. Ein Mann, der dies kann, ist Wilfried Giesche. Der 67-Jährige ist festangestellter Senior-Recruiter bei Unique Seniors – und selbst berentet. Früher arbeitete er im Jobcenter, heute bringt er Menschen über 63 zurück in Arbeit.
Heute versteht er sich nicht nur als Vermittler, sondern auch als Übersetzer zwischen den Generationen. „Ich helfe Unternehmen zu erkennen, was sie an diesen Menschen haben.“ Die Gespräche mit Bewerberinnen und Bewerbern sind keine klassischen Interviews: „Da geht es um Biografie, Stolz, Motivation – aber auch um Enttäuschung. Wer 45 Jahre gearbeitet hat, hat viel erlebt – das braucht Raum.“
Wilfried Giesche ist Teil des Spezialisten-Teams bei Unique Seniors – einer Marke des Personaldienstleisters Unique Personalservice –, das gezielt ältere Bewerberinnen und Bewerber anspricht. Der Rücklauf ist groß: Im vergangenen Jahr meldeten sich über 2.500 Seniorinnen und Senioren mit dem Wunsch, wieder arbeiten zu können. Viele davon hoch motiviert und qualifiziert. Doch nicht alle können vermittelt werden. Denn während das Interesse auf Bewerberseite wächst, reagieren viele Unternehmen noch zögerlich.
Für Unternehmen ist die Beschäftigung älterer Menschen oft auch eine kulturelle Frage. Wie offen ist ein Team für Mitarbeitende jenseits der 60 und mit jahrzehntelanger Berufserfahrung? Wie gelingt die Integration zwischen Generationen? „In vielen Fällen mangelt es nicht an gutem Willen, sondern an Orientierung“, sagt Giesche. „Wenn wir aufklären, entstehen Möglichkeiten – für beide Seiten.“
Rentner in Arbeit – gesucht, gefunden, geschätzt
Rainer Guntermann hat diesen Schritt bereits hinter sich. In seinem aktuellen Einsatz fühlt er sich nicht nur akzeptiert, sondern geschätzt: „Ich bekomme Anerkennung. Die Kollegen sagen, ich sei ein Vorbild – das macht mich stolz.“ Für ihn ist klar: Solange er sich fit fühlt und gebraucht wird, möchte er weitermachen. „Ich arbeite gerne. Es gibt mir Halt. Und es gibt mir Sinn.“
Bis 2035 werden in Deutschland rund 13 Millionen Menschen das Rentenalter erreichen – das entspricht etwa einem Drittel der heutigen Erwerbsbevölkerung (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2022). Gleichzeitig steigt der sogenannte Altenquotient deutlich an: Schon 2030 kommt auf zwei Erwerbstätige rechnerisch ein Ruheständler.
„Wir stehen vor einem fundamentalen Wandel des Arbeitsmarkts. Unternehmen werden sich stärker mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie sie ältere Menschen sinnvoll einbinden können“, sagt Tobias Bell, Geschäftsbereichsleiter bei Unique Seniors. Zeitarbeit verstehe er in diesem Zusammenhang nicht als Übergangslösung, sondern als strukturellen Hebel: „Wir bauen Brücken – zwischen Menschen, die arbeiten wollen, und Betrieben, die heute noch zögern.“
Wilfried Giesche: „Zwischen Lebenslauf und Lebensleistung“

Wilfried Giesche, Reruiter bei Unique Seniors
Sie sind Senior und Recruiter bei Unique Seniors. Was unterscheidet Ihre Gespräche mit älteren Bewerber:innen von klassischen Bewerbungssituationen?
Das sind keine Standard-Interviews. Da geht es um Biografie, Stolz, Motivation – aber auch um Enttäuschung. Wer 45 Jahre gearbeitet hat, hat viel erlebt. Das braucht Raum.
Welche Hürden erleben die Bewerber:innen?
Viele melden sich bei uns, weil sie keine Antworten mehr bekommen. Sie sind motiviert und oft sehr qualifiziert.
Was wünschen Sie sich von Unternehmen?
Aber auf Unternehmensseite gibt es häufig noch Zurückhaltung – manchmal fehlt einfach die Information, dass man Rentner problemlos beschäftigen kann. Ich wünsche mir weniger Bedenken, mehr Neugier. Nicht auf das Geburtsdatum schauen, sondern auf das, was jemand mitbringt. Wenn wir aufklären, entstehen Möglichkeiten – für beide Seiten.